Im Gespräch mit der Fotografin.

Cassius Clay alias Muhammad Ali, Los Angeles, USA, 1967 © Pia Zanetti/Fotostiftung Schweiz/Codax Publisher

Cassius Clay alias Muhammad Ali, Los Angeles, USA, 1967
© Pia Zanetti/Fotostiftung Schweiz/Codax Publisher

Pia Zanetti arbeitete für viele in- und ausländische Medien als Auftragsfotografin. Über Jahrzehnte sind engagierte Bildberichte zu gesellschaftlichen, politischen und alltäglichen Fragen entstanden. Für das vorliegende Werk hat Pia Zanetti ihr gesamtes Archiv gesichtet und eine Auswahl getroffen. Das Buch gibt mit einem umfangreichen Bildteil Einblick in ihr langjähriges und vielfältiges Schaffen. Ihr Interesse galt immer den Menschen, die sie auf der Strasse, bei der Arbeit oder in der Freizeit aufnahm – einfühlsam, kritisch und präzis ist ihr fotografischer Blick. Aus Pia Zanettis Archiv sind jene Aufnahmen ans Licht geholt, die mehr als Dokumente sind: einprägsame Bilder, in denen sie Ereignissen und Begegnungen mit Menschen ein Stück Poesie abgerungen hat. Die Texte zum Buch haben Dr. Peter Pfrunder, Direktor Fotostiftung Schweiz, und Nadine Olonetzky verfasst.

Pia, wann und wie begann es eigentlich, dass du Fotojournalistin wurdest?

Schon sehr früh habe ich von diesem Beruf geträumt. Weil meine Mutter überzeugt war, dass ich mit der Fotografie nicht überleben könnte, musste ich jedoch zuerst die Handelsschule absolvieren. Es war in ihrer Vorstellung eine «brotlose Kunst». Dank der Handelsschule bin ich schnell beim Tippen auf den Tasten des Laptops. Nach der Schule habe ich mir in Basel eine Lehrstelle gesucht. Eine zu bekommen, war damals als Frau sehr schwierig. So ging ich in die Lehre zu meinem 15 Jahre älteren Bruder. Er war Fotograf und hat mir das immer angeboten.

Deine Werke sind im Auftrag von Zeitschriften und Zeitungen entstanden. Heute sind die Geldmittel in den Verlagen knapp, gerade die Fotografen leiden besonders darunter. Wie muss man sich heute die damalige Zusammenarbeit mit den Verlagshäusern vorstellen?

Die damalige Situation war für uns paradiesisch. Mein inzwischen verstorbener Mann war Journalist. Wir haben den verschiedenen Redaktionen Reportagevorschläge gemacht; von Themen, die uns interessierten. Meistens wurden sie angenommen. Es hiess danach, wir sollten Vorschuss holen und auf die Reise gehen. Es ging so weit, dass «Die Woche» uns ein Pied-à-Terre in Zürich finanzierte. Wir haben in Rom und in London gelebt. Wenn wir nach Zürich kamen, hatten wir die Wohnung zur Verfügung.

Du warst Auftragsfotografin. Gab es bei der Zusammenarbeit Unterschiede, ob du für Schweizer oder für ausländische Verlage gearbeitet hast?

In der Schweiz war es insofern einfacher, weil ich den Ablauf gut kannte. Man wusste, dass man das Honorar bekam, was im Ausland nicht automatisch der Fall war. Die Unterschiede waren jedoch nicht sehr gross. Es kommt ja immer auch drauf an, mit wem man es zu tun hat.

Als Fotografin unter vielen Fotografen gehörtest du als Frau zur Avantgarde. Wie war dein Verhältnis zu den Fotografenkollegen?

Die Fotografen im Ausland – es waren nur Männer in dieser Zeit – waren mir gegenüber sehr solidarisch. Man hat sich auf den Redaktionen gegenseitig vorgestellt. Man hat einander Ideen und Aufträge weitervermittelt, was sehr hilfreich war. Es gab einen Stolz der Berufsgruppe, ein Gefühl der Verbundenheit. Anfänglich wurde ich als junge Frau immer ein bisschen belächelt. Die Fotografen nannten mich «virgoletta» (kleines Komma). Aber irgendwann ging es dann nur noch um die Arbeit. Sie haben mich akzeptiert. Es entstanden auch Freundschaften.

Du hast sehr viele Länder bereist. Gibt es Reisen und Orte, welche dir besonders viel bedeutet haben?

Meine eindrücklichste Arbeit war die in Südafrika. Ich war informiert über die Apartheidpolitik. Es war auch das Thema unserer Reise. Ich konnte mir jedoch nicht vorstellen, dass diese Politik so perfide war. Ich war erschüttert, was ich sah. Da steht ein Fels am Strand, darauf steht «whites only». In der Metzgerei gab es «boys meat» für den Hausangestellten. Hundefleisch wäre sicher besser gewesen. Im Spital waren weisse und schwarze Menschen auch getrennt, jedoch wurden schwarze Organe in weisse Körper transplantiert. Wir kennen viele unmenschliche Beispiele. Die Ungerechtigkeit hat keine Grenzen. In Ruhe schlafen liess mich das nicht mehr.

Bei deinem Schaffen fällt auf, dass dein fotografischer Blick fast ausnahmslos den Menschen gilt, du dich selber sehr zurücknimmst. Deine Arbeiten scheinen einfach so zu passieren – ein bewusster Vorgang?

Ein bewusster Vorgang ist sicher, dass ich die Menschen mit ihren Geschichten in den Vordergrund stellen möchte, nicht mich. Ein bisschen kam auch der Zeitgeist dazu. Je unsichtbarer man sich machen konnte, umso besser war man – eine bessere Fotografin. Beobachten können gehört dazu. Es passiert etwas, und das eigene Herz macht einen Hüpfer, wenn man abdrückt. Die Situation hat etwas in einem ausgelöst. Es ist ein magischer Moment. Das hat natürlich viel mit der eigenen Geschichte zu tun, auch mit der eigenen Einstellung zur Welt, zum Dasein. Genau genommen nehme ich mich nicht so fest zurück.

Du hast über viele Jahrzehnte analog fotografiert, spät auch digital. War das eine harte Zäsur in deinem Schaffen?

Für mich war die digitale Umstellung vor allem eine technische Hürde. Die Technik ist nicht «mein Ding». Inzwischen gefällt mir die digitale Fotografie. Auf langen, beschwerlichen Reisen bin ich froh, die Fotos am Abend beurteilen zu können. Die Angst ist weg, es sei nichts auf dem Film oder die Arbeit wäre schlecht.

Wir veröffentlichen seit 25 Jahren jährlich monografische Werke wegweisender Fotografie. Bei deinem Werk «Pia Zanetti. Fotografin» kooperieren wir mit der Fotostiftung Schweiz und dem Verlag Scheidegger & Spiess. Für das Buch hast du dein gesamtes Archiv gesichtet, wie hast du deine Auswahl getroffen?

Die Buchserie ist inhaltlich hochstehend. Euer Kulturengagement ist bewundernswert, vor allem über diesen langen Zeitraum – gelebte Nachhaltigkeit im wahrsten Sinn. Das Auswählen der eigenen Fotos finde ich etwas vom Schwierigsten. Ich war immer wieder begeistert – und am nächsten Tag verstand ich meine Begeisterung nicht mehr. Ich habe eine erste grosse Auswahl getroffen, Fotos ausgelegt, immer wieder betrachtet und kritisiert. Mein Sohn, der auch Fotograf ist, hat mir sehr geholfen, hat auch Fotos entdeckt, die ich nie herausgezogen hätte. Mit dem kritischen, schnellen und geschulten Auge von Peter Pfrunder von der Fotostiftung haben wir die Schlussauswahl vorgenommen.

Eine Frage zum Schluss. Du hast Tausende von Fotos gemacht. Fotografierst du eigentlich noch, gibt es freie, eigene Projekte?

In letzter Zeit habe ich nicht fotografiert. Ich war mit dem Aufarbeiten meines Archivs beschäftigt und in diesem Jahr mit dem Buch und der Ausstellung. Ich habe Projekte, möchte mir jedoch Zeit lassen, möchte schauen, was mir das Leben noch alles bringt.

Die Buchhandelsausgabe ist im Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich, ISBN 978-3-03942-008-7, und bei der Fotostiftung Schweiz in Winterthur erhältlich.

Vom 23. Januar bis 24. Mai 2021 zeigt die Fotostiftung Schweiz in Winterthur die Ausstellung Pia Zanetti, Fotografin www.fotostiftung.ch/ausstellungen/demnaechst-pia-zanetti

Interview
Dezember 2020