Strategie und gute Inhalte zuerst, dann die Kanäle.

Joe Pulizzi, Gottvater des Content-Marketings, fiel am Tag nach der Brexit-Entscheidung etwas auf. Viele Leute griffen in London bestürzt nach der Zeitung: «Wir sind raus!» titelten die meisten Medien auf der Frontseite. Natürlich hatten alle diese Nachricht längst auf ihren digitalen Devices gelesen. Aber erst gedruckt wurde diese Nachricht real.

Pulizzi vertritt die Meinung, dass Print als wertvoller und verbindlicher empfunden wird als Digital. Weil TV wie so viele andere Medien massiv an Reichweite verliert, suchen auch Marken neue Wege, um die Kunden zu erreichen: Es werden digitale Outdoor-Displays lanciert, und gleichzeitig investiert man in Flagship-Stores an besten Lagen. Der physische Standort erfüllt in Koexistenz zur Digitalisierung seine wichtige Rolle. Was sagen uns diese zwei Beispiele? Hier wird strategisch gedacht und schliesslich auf den richtigen Mix gesetzt.

«Online only» klingt gut und ist schnell gesagt

Print gilt als Auslaufmodell. Das Medienkonsumverhalten der Anspruchsgruppen ist aber etwas komplexer und erfordert eine differenzierte Betrachtung. Eine solche beugt der verbreiteten Geringschätzung gedruckter Medien vor und gewichtet die zu erreichenden Kommunikationsziele höher als die zuweilen ideologisch geführte Diskussion um die besten Kanäle. Die Antwort auf die Frage, welche Kanäle für die Kommunikation mit den anvisierten Anspruchsgruppen am besten geeignet sind, ist klar: Strategie und Inhalt zuerst, danach sind die einzelnen Massnahmen und Kanäle festzulegen. Doch braucht es in der zunehmend digitalisierten Welt noch analoge Medien wie Mitarbeiterpublikationen oder Kundenmagazine?

Trend bei der Mitarbeiterkommunikation

Was die Kommunikation mit den Mitarbeitenden angeht, liefert eine unlängst veröffentlichte Studie von Perikom, dem Fachverein für Personalmanagement und Interne Kommunikation, aufschlussreiche Erkenntnisse. 61 Prozent der angefragten 100 Schweizer Firmen mit den meisten Beschäftigten in der Schweiz geben nach wie vor gedruckte Mitarbeiterpublikationen als Leadmedium heraus. Flankierend werden digitale Lösungen angeboten (Dialogplattformen, Blogs, Intranet usw.). Die grössten Auflagen melden die Post und Coop für ihre je rund 54’000 Mitarbeitenden. Aber auch UBS, Roche und Novartis gehören zu den grössten Herausgebern von Mitarbeiterpublikationen. Die Firmen machen die Erfahrung, dass die Nutzerzahlen immer noch deutlich über den Online-Zugriffen liegen. Der Trend geht allerdings in die andere Richtung. In den letzten Jahren haben unter anderem Swiss Re, Swiss Life, Tamedia (heute TX Group), Swisscom oder Credit Suisse ihre Mitarbeitermagazine eingestellt. Diese Unternehmen kommunizieren mit ihren Mitarbeitenden monokanalig digital. Sie haben dadurch Druckkosten gespart, aber auch auf die Stärken des Printmediums verzichtet. Dazu gehören Orientierung, Verbindlichkeit, Emotionen, die Steuerung der Distribution sowie der Nutzung, das haptische Erlebnis und die Langzeitwirkung.

Gilt bei Kundenkommunikation anderes?

Erfolgreiches Content-Marketing setzt lesenswerte Inhalte voraus. Je ähnlicher eine Kundenzeitschrift einer Kaufzeitschrift ist, desto grösser die Glaubwürdigkeit. Die richtige Kanalwahl oder die Kombination von Kanälen hängt von den Zielgruppen und Kommunikationszielen ab. Braucht Content-Marketing überhaupt auch Print? Print gehört genauso zur Kanalstrategie wie Digital, Mobile und Social Media. Die 2019 veröffentlichte Studie des Content Marketing Forum besagt, dass in Europa die Investitionen in digitale Kommunikation deutlich gestiegen sind. Absolut gesehen sind aber auch die Printinvestments gestiegen. Integriert in eine Kommunikationsgesamtstrategie kann ein professionell gemachtes Kundenmagazin ein wichtiges Push-Medium sein. Es kommt zum Kunden oder zu den Interessenten! Content-Marketing-Guru Pulizzi meint: «Print regt zum Nachdenken an. Online sucht man meistens nach Antworten. Print ist ein sehr gutes Medium, um mit anspruchsvollen Inhalten die Kunden zu fordern, damit sich diese die richtigen Fragen stellen können.» Viele Kundenpublikationen sind leider bunte Produktbroschüren, gespickt mit Verkaufsbotschaften. Solche Magazine landen so schnell im Papierkorb, wie nervende Inhalte im Netz weggeklickt werden. Erfolgreiches Content-Marketing setzt auf Kunden- und Nutzenorientierung. Es geht ums Geschichtenerzählen, ums Unterhalten, Informieren und Überraschen.

Kanalübergreifende Content-Marketing-Strategie

Ein Kundenmagazin kann eine wirkungsvolle Massnahme einer Content-Marketing-Strategie sein. Nicht selten ist jedoch das Kundenmagazin da, bevor es eine kanalübergreifende Strategie gibt. Vorausgesetzt, die Inhalte überzeugen durch Qualität, können auch Organisationen mit abstrakten Produkten mit Print erfolgreich sein. Neben der Betreibung eines Blogs setzt beispielsweise das Vontobel Investment Banking mit seinem im Zweimonatsrhythmus in der Schweiz in den beiden Sprachen Deutsch und Französisch erscheinenden Anlegermagazin «derinews» (Ausgabe Deutschland «mehrwert») seit vielen Jahren auf ein gedrucktes Push-Magazin. Als «Nutzmagazin» positioniert ist es ein wichtiger Verkaufskanal für die strukturierten Anlageprodukte. Selbst Unternehmen mit einem digitalen Geschäftsmodell und mit mächtigen Portalen setzen neben ihrem digitalen Content-Angebot auf gedruckte Kundenmagazine.

Erfolgreicher Kanalmix bei Red Bull

Die Gruppe Red Bull, deren Kunden wohl als überdurchschnittlich online-affin bezeichnet werden können, setzt nicht allein auf Digital. Dietrich Mateschitz, der Chef von Red Bull höchstpersönlich, war Initiant der Lancierung des gedruckten Content-Marketing-Magazins «The Red Bulletin», das seit 2007 herausgegeben wird. Weltweit erscheint es monatlich in einer Auflage von 2,2 Millionen Exemplaren in vielen Sprachen und Länderausgaben. In der Schweiz beträgt die Auflage 348’500.

Keine Kompromisse bei der Qualität

Ein Kundenmagazin setzt gutes Handwerk von Blattmachern, Journalisten und Editorial-Designern voraus. Wenn das Spezialwissen nicht im Unternehmen vorhanden ist, muss es eingekauft werden. Heute ermöglichen Publishing-Plattformen kollaborative Lösungen. Agenturprofis arbeiten mit Mitarbeitenden aus dem Unternehmen gemeinsam an einem Magazin: internes Fachwissen kombiniert mit externem Blattmacher-Know-how. So entstehen Kundenmagazine, die sich auch am Kiosk sehen lassen könnten.

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